Serie Teil 1: Wohin steuert Amerika? Der Ökonom Thomas Straubhaar sieht Risiken für die Wirtschaft – aber Chancen für Deutschland.

Viele, auch ich, mögen weder die Art noch die Weise wie Donald Trumpauftritt, redet oder mit Minderheiten umgeht. Genauso wenig teilen sie die Ideologie der Rücksichtslosigkeit, von der sich der neue amerikanische Präsident leiten lässt, beispielsweise, wenn er Meryl Streep als überbewertete Schauspielerin diffamiert und als „Hillarys Lakai, eine große Verliererin“. Das Ministerkabinett der alten, reichen, weißen Männer wird der Vielfalt der USA nicht gerecht. Der auf 140-Zeichen eines Twitter-Tweeds reduzierte Führungsstil, die arrogante Leugnung harter Fakten, die simple Rhetorik, mit der Trump Andersdenkende abkanzelt, passen nicht zur Komplexität der Herausforderungen, mit denen die politisch und wirtschaftlich stärkste Volkswirtschaft der Welt heute und in Zukunft konfrontiert sein wird.

Säulen der Nachkriegsordnung beerdigt

Der Trumpismus bricht so ziemlich mit allem, was die Welt(wirtschafts)ordnung der letzten Jahrzehnte bestimmte. Der Multilateralismus, also die weltweite Zusammenarbeit kleiner und großer Staaten auf Augenhöhe, war schon unter Obama gestorben. Nun werden auch die regionalen Partnerschaften, wie das Transpazifische oder das Transatlantische Handels- und Investitionsabkommen (TPP bzw. TTIP) beerdigt. Ein ähnliches Schicksal droht allen tragenden Säulen der Nachkriegsordnung, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs – ironischerweise von den USA – eingerammt wurden, um der Welt Frieden und Freiheit zu bringen.

Die Vereinten Nationen und ihre vielen Tochterorganisationen, die Welthandelsorganisation (WTO), der internationale Währungsfonds (IMF) und die Weltbank, Klimaschutzabkommen oder (Ab-)Rüstungsvereinbarungen werden zwar nicht annulliert, auseinanderfallen oder gar aufgelöst werden. Aber ihre Möglichkeiten und Kompetenzen werden eingeschränkt sein in einer Welt der multipolaren Machtzentren, die durchaus auch im Sinne der großrussischen Träume Putins oder einer Wiedergeburt des Osmanischen Reichs Erdogans sind.

Gegner müssen mit Handelskriegen rechnen

„America first“ lautet die Doktrin des Trumpismus. Wer nicht spurt, muss mit Erpressung, Handelskriegen oder Gegenmaßnahmen rechnen. „Produziert in den USA oder zahlt hohe Einfuhrsteuern!“, so die knallharte über Twitter kommunizierte Drohung Donald Trumps an den größten US-Autohersteller General Motors (GM), der in Mexiko Autos für den amerikanischen Markt produzieren will. Ähnliches Unbill dräut deutschen Fahrzeugbauern. Auf der Automesse in Detroit konnte schon exemplarisch beobachtet werden, wie die Firmenchefs zu Kreuze krochen und gelobten, den amerikanischen Produktionsstandort aufzuwerten.

Globalisierung ist out, Nationalismus ist in. Freihandel oder gar offene Grenzen für Arbeitskräfte werden Geschichte. Protektionismus und Abschottung, Grenzkontrollen und Stacheldraht bestimmen künftig die Außenwirtschaftspolitik. Unvergessen, wie Trump im Wahlkampf ankündigte, eine Mauer an der US-amerikanisch-mexikanischen Grenze errichten zu wollen, die dann – zynischerweise – auch noch von Mexiko zu bezahlen sei, was Trump seit Jahresbeginn nicht müde wird, in Erinnerung zu rufen.

Vorreiter einer neuen Welle

Donald Trump wird somit zum Totengräber einer ursprünglich von den USA initiierten, vorangetriebenen und später von Europa unterstützten Welt(wirtschafts)ordnung der Nachkriegszeit, die nach dem Ende des Kalten Kriegs zum Fundament der Globalisierung wurde. Das macht ihn zum Feindbild für alle jene, für die offene Märkte, internationale Arbeitsteilung, weltweiter Handel und globaler Wettbewerb nicht Fluch, sondern Segen sind.

So verständlich die spontane Abkanzelung Donald Trumps als rückständiger, neo-nationaler Politiker scheint. So richtig ist das Gegenteil: Donald Trump ist Vorreiter einer neuen Welle. Er nimmt das Zurückschwingen einer Pendelbewegung vorweg, das sich nahezu weltweit zeigt, wenn auch in verschiedenen Ländern aus anderen Beweggründen. Die Bevölkerungen wollen einen Politikwechsel zurück zu mehr staatlichem Schutz und weniger offenen Grenzen. Weg von der anonymen Globalisierung zurück zum lokalen Nationalen. Weg von einer Entnationalisierung der Politik zu einer Re-Nationalisierung. Weg von einer Deregulierung der Märkte zurück zur Re-Regulierung. Bewahrung vor Veränderung, Verteilung vor Effizienz sind die neue Doktrin der Weltwirtschaftsordnung des 21. Jahrhunderts.

Antwort auf rasante Veränderungen in der Welt

Der Trumpismus ist die logische Antwort der Politik auf eine in den letzten Jahrzehnten stärker werdende Asynchronität. Die Geschwindigkeit des technisch-ökonomischen und des gesellschaftlich-kulturellen Wandels verliefen zunehmend ungleich. Zunächst die Globalisierung und nun die Digitalisierung zwingen Menschen in rasendem Tempo zu mehr Mobilität und Flexibilität. Eine digitale Revolution verschont nichts und niemanden. So rasch aber wollen und können die wenigsten aufgeben, woran sie sich über Jahre gewöhnt haben. Gesellschaftliche Verhaltensmuster, Umgangsformen, Werte und Moral sind das Ergebnis eines unendlich langsamen Anpassungsprozesses. Er vollzieht sich in kleinsten tagtäglichen Schrittchen über Generationen. Und nicht in großen Sprüngen und tiefen Brüchen oder starken, kurzen Schüben, wie es bei technologischem Fortschritt und auf Quartalsdaten ausgerichteten Wirtschaftsprozessen der Fall ist.

Entgegen Versprechungen und Erwartungen hat die Globalisierung nicht dazu geführt, dass sich die Schere zwischen Arm und Reich schloss. Zwar geht es – weltweit – dem größten Teil der Menschheit wirtschaftlich besser als ihren Vorfahren. Und wie überlegen Globalisierung der Abschottung ist, lässt sich an der historischen Erfahrung geteilter Länder wunderbar studieren. Der offenen Bundesrepublik gelang ein Wirtschaftswunder, die durch eine Mauer isolierte DDR implodierte. Das globalisierte Südkorea ist eine hoch entwickelte Volkswirtschaft geworden, Nordkoreas Bevölkerung lebt von der Außenwelt abgeschottet in Armut.

Trump-Anhänger als Globalisierungsgegner

Aber die Globalisierung hat eben auch zu einer Polarisierung der Gesellschaften geführt. Von den Vorteilen offener Märkte haben nicht alle gleichermaßen profitiert. Ein großer und wachsender Teil der Bevölkerung in den USA und genauso in Europa hat das Gefühl, dass mit der Globalisierung vieles falsch laufe und der Staat einseitig den Interessen der Eliten diene, aber die Nöte der Massen vernachlässige. (Zu) viele Menschen empfinden, dass in guten Zeiten Gewinne privatisiert und in schlechten Zeiten Verluste sozialisiert werden. Dass Reiche immer wohlhabender und Arme immer hoffnungsloser würden.

Es ist kein Zufall, sondern wiederum Ironie, dass die Idee weltweit offener Märkte für Güter und Arbeitskräfte mit Donald Trump und dem Brexit ausgerechnet in jenen Ländern zu Grabe getragen wird, die mit Ronald Reagan und Margaret Thatcher die Geburtshelfer der Globalisierung stellten. In den angelsächsischen Volkswirtschaften zeigt sich rascher und deutlicher als in den europäischen Wohlfahrtsstaaten, was schiefgelaufen ist seit dem Ende des Kalten Kriegs, dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Aufstieg Chinas zur führenden Welthandelsnation.

Einfache Lösungen für übersichtliche Welt

Die Neo-National(istisch)en Bewegungen mit dem Trumpismus als Vorreiter bedienen die Erwartung der Bevölkerungen, die Geschwindigkeiten von technisch-ökonomischen und gesellschaftlich-kulturellem Wandel zu synchronisieren. Wirtschaft und Gesellschaft zu erden. Elite und Establishment zu versöhnen. Die Polarisierung von Gewinnern und Verlierern der Globalisierung und Digitalisierung zu überwinden. Versprochen wird, mit einfachen Lösungen Komplexität zu reduzieren. Das Leben wieder übersichtlicher zu machen, den Alltag zu entschleunigen. Ob die Hoffnungen erfüllt werden, ist eine ganz andere Frage. Aber alleine schon, gegen das Bisherige zu protestieren und Optionen, beispielsweise eine Alternative für Deutschland, wählen zu können, ist vielen den Versuch Wert, neo-national(istisch)en Parteien ihre Stimme zu geben.

Die nächsten Jahre werden turbulent

Nimmt man nüchtern den Trumpismus und den europäischen Neo-Nationalismus als logische Antwort auf Globalisierung und Digitalisierung, verliert der Amtsantritt des neuen US-Präsidenten seinen Schrecken. Er bedeutet dann in erster Linie eine Normalisierung. Er korrigiert die Illusion, dass Wachstumsprozesse exponentiell, Politik und gesellschaftlicher Wandel linear verlaufen. Natürlich wird vieles anders werden. Der Bremsvorgang der Globalisierung wird auch beim Wirtschaftswachstum Spuren hinterlassen. Aber das Zurückschwingen des politischen Pendels musste früher oder später kommen – so oder so und auch ohne Donald Trump.

Sicher: Die nächsten Jahre werden turbulent. Donald Trumps Amtsantritt sorgt für Unsicherheit. Niemand kennt seine Agenda, keiner weiß, wie er tatsächlich reagieren wird. Eine hohe Wahrscheinlichkeit hat jedoch das optimistische Szenario, dass der neue Präsident für einen Wachstumsschub sorgen wird. „Wir werden uns um unsere sozialen Brennpunkte kümmern und unsere Straßen, Brücken, Tunnel, Flughäfen, Schulen und Krankenhäuser wiederaufbauen. Wir werden unsere Infrastruktur, die übrigens allen überlegen sein wird, wiederaufbauen. Und wir werden bei diesem Wiederaufbau Arbeitsplätze für Millionen von Menschen schaffen.“ So hat Donald Trump in seiner Siegesrede in der Wahlnacht angekündigt, dass er bei den Staatsausgaben klotzen, nicht kleckern wird. Ein „New Deal“ – gegen hohe Nutzungsgebühren und gute Zinszahlungen auch mit privatem Kapital von der Wall Street finanziert – wird die USA enorm voranbringen.

Billige deutsche Produkte für Amerikaner

Ein starkes Amerika muss nicht zu einem schwachen Europa führen. Im Gegenteil – gerade Deutschland kann davon profitieren. Trump hat zwar Strafzölle und Schutzmaßnahmen für die US-Wirtschaft angekündigt. Er dürfte damit aber eher Konsumgüter, wie Autos oder Massenprodukte im Fokus haben, deren Produktion er in die USA zurückholen will. Deshalb ist die deutsche Automobilindustrie zu Recht alarmiert. Hier aber dürfte ein stärker werdender US-Dollar für ein Gegengewicht zu den befürchteten Strafzöllen sorgen. Er verbilligt Produkte aus Deutschland für amerikanische Kunden.

Trump – ein Grobian, aber kein Dummkopf

Investitionsgüter aus Deutschland – also Maschinen, innovative Prozesslösungen und Ingenieurskünste aus Deutschland – sind Vorleistungen, die unverzichtbar sind, um die US-Infrastruktur „zur besten der Welt“ zu machen. Da wird sich Donald Trump nicht ins eigene Bein schießen. Der neue US-Präsident mag ein unsympathischer Grobian sein. Aber er ist nicht dumm. Und schlimmstenfalls werden seine Berater für Vernunft sorgen.

Da lässt sich eine Parallele zu Ronald Reagan ziehen. Ihm schlugen damals, in den frühen 1980er-Jahren als Schauspieler und Hardliner gegenüber der Sowjetunion bei seinem konservativ-neoliberalen Revitalisierungskurs der USA ähnliche Vorurteile, Ablehnung und Ängste aus dem liberalen weltoffenen Europa entgegen. Reagan hatte – wie wohl auch Trump – vielleicht nicht den höchsten IQ aller US-Präsidenten.

Er hatte aber wie kaum ein anderer die Kompetenz, sich von den intelligentesten Menschen klug beraten zu lassen. Und im Ergebnis war er aus amerikanischer Sicht einer der erfolgreichsten US-Präsidenten. Er hat die Sowjetunion in die Knie gezwungen, den Kalten Krieg beendet und damit den Startschuss für die Globalisierung gegeben. Ein ähnlicher Bruch mit der Vergangenheit verbunden mit einem Aufbruch in ein neues Zeitalter der Digitalisierung könnte nun mit Donald Trump gelingen.

Die USA stehen mit dem Trumpismus zumindest kurzfristig im besten Falle auch längerfristig vor einem ökonomischen Boom. Er wird zuallererst den USA zugutekommen. Er wird aber auch auf jene Volkswirtschaften überschwappen, die jene Ideen, Innovationen und qualitativ hochstehenden Vorleistungen liefern, auf die der amerikanische Aufschwung unverzichtbar ange- wiesen ist. Deutschland kann da ganz vorne mit dazugehören.

Das ist Thomas Straubhaar

Der gebürtige Schweizer Thomas Straubhaar war Gründer des Hamburgischen WeltWirtschaftsIntsituts und lehrt an der Universität Hamburg. 2009/2010 erhielt er das erste Helmut-Schmidt- Stipendium an der Transatlantic Academy in Washington.

Prof. Thomas Straubhar an der Binnenalster
Prof. Thomas Straubhar an der Binnenalster © Klaus Bodig

Im Februar erscheint sein neues Buch: „Radikal gerecht: Wie das be­dingungslose Grundeinkommen den Sozialstaat revolutioniert“ (Edition Körber, 17 Euro)

Morgen lesen sie die Analyse von:
Thomas Frankenfeld