Hamburg. Wie entstehen Verschwörungstheorien? Abendblatt-Chefredakteur Haider im Gespräch mit Universitäts-Präsident Dieter Lenzen.

Bill Gates ist am Coronavirus schuld, in Berlin demonstrieren zwei Milliarden Menschen gegen die Politik der Regierung – und es gibt tatsächlich Leute, die so etwas glauben. In einer neuen Folge unserer Reihe „Wie jetzt?“ fragen sich Dieter Lenzen, Präsident der Universität Hamburg, und Lars Haider, Chefredakteur des Hamburger Abendblatts, was denn da gerade in Deutschland los ist.

Lenzen: Zwei Ursachen für Verschwörungstheorien

Für die Entstehung der Verschwörungstheorien gibt es laut Lenzen zwei Ursachen, eine psychologische und eine soziale. „Die einen finden sich mit einer gewaltigen Herausforderung, wie sie die Corona-Pandemie darstellt, ab, andere nehmen eine kämpferische Haltung ein. Und manche sagen eben: Das Virus gibt es gar nicht, das ist alles erfunden.“

Das sei so ähnlich wie bei Menschen, bei denen ein Arzt eine schwerwiegende Krankheit diagnostiziert: „Es kann dann bei den Betroffenen Phasen geben, in denen sie diese Diagnose leugnen und behaupten, dass der Arzt sich geirrt hat. So ähnlich funktioniert das gerade bei den Corona-Leugnern.“

"Corona ist für Gesellschaft eine große Herausforderung"

Die soziale Erklärung: „Wie für das Gehirn ist Corona auch für die Gesellschaft eine große Herausforderung.“ Schon im Spätmittelalter habe es die sogenannte Priester-Trug-Theorie gegeben. Das heißt: „Die Menschen haben angefangen, nicht mehr daran zu glauben, was Priester gesagt haben. Es hat damals Gruppen gegeben, die behauptet haben, dass sich die Priester zusammengetan haben, um den Rest der Gesellschaft auszubeuten“, so Lenzen.

Und so sei es heute auch: Reichsbürger und ähnliche Verbindungen würden so tun, als ob Politiker und reiche Unternehmer ihre Macht missbrauchen würden. „Nehmen wir das Beispiel Bill Gates, der ja mit seinem vielen Geld unter anderem daran arbeitet, Polio weltweit auszurotten. Verschwörungstheoretiker denken: Wer das kann, dem ist alles zuzutrauen, auch etwas Böses“, sagt Lenzen.

40.000 Menschen müssen im Verhältnis gesehen werden

Insgesamt müsse man aber sehen, wie viele Verschwörungstheoretiker und Corona-Leugner es gebe: „Dass das im Moment so hochgeschrieben wird, ist schäbig für das ganze Land. Selbst, wenn in Berlin 40.000 Menschen demonstriert haben – was ist das schon bei 82 Millionen Bürgern, die in Deutschland leben? Man muss jetzt nicht denken, dass wir kurz vor dem Chaos stehen“, so Lenzen.